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In der Vorrede der Ausgabe seiner Predigten über den 1. Petrusbrief aus dem Jahr 1523 schreibt Martin Luther über die reformatorische Botschaft: Das Evangelium

ist eygentlich nicht das, das ynn buechern stehet und ynn buchstaben verfasset wirtt, sondernn mehr eyn mundliche predig und lebendig wortt, und eyn stym, die da ynn die gantz wellt erschallet und offentlich wirt außgeschryen, das mans uberal hoeret1.

Mit Luther ließe sich also sagen: ein Band zum Buchdruck im Zeitalter der Reformation kann und darf nicht ohne das Thema Predigt auskommen. Auch wenn die Aussage Bernd Moellers, »keine Reformation ohne Buchdruck«2 zweifellos richtig ist und auch schon von den Zeitgenossen als richtig angesehen wurde, so gilt genauso, was Robert Scribner pointiert hat: Ein angemessenes Verständnis der Verbreitung reformatorischer Ideen muss den Buchdruck in den Kontext aller Informationsmedien der Zeit setzen, das heißt neben dem Buchdruck auch visuelle Medien, Aktionen und vor allem sämtliche Formen der mündlichen Kommunikation in Predigt, Gesang und Gespräch in den Blick nehmen3.

Dieser Aufgabe hat sich die Forschung in den letzten zwei Generationen intensiv gewidmet, hat das vielfältige Wechselspiel und Zusammenwirken von gesprochenem und geschriebenem Wort bei der Verbreitung und Durchsetzung der Reformation untersucht und die »Kommunikation unter Anwesenden«, wie Rudolf Schlögl es formuliert hat4, als Grundsignatur der Frühen Neuzeit hervorgehoben. Dabei gilt, um noch einmal mit Scribner zu sprechen: »Pride of place as the major formal means of communication must go to the pulpit.«5

Im Folgenden soll deshalb die Rolle der Predigt in ihrem Zusammenspiel mit dem Buchdruck in der Reformationszeit rekapituliert werden. Dazu ist es nötig, die spätmittelalterlichen Voraussetzungen kurz zu betrachten, um dann den Druck von Predigten in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen. Weiterhin sollen die Postillen als Predigtsammlungen behandelt und die Herausbildung neuer Gattungen von Predigtdrucken angesprochen werden, die dazu führten, dass sich gedruckte Predigten zu einer der vielfältigsten und fruchtbarsten Literaturgattungen der Frömmigkeitsliteratur entwickelten – und damit einen nennenswerten Anteil zur frühmodernen Druckproduktion beitrugen.

Christliche Predigt gab es schon seit den Anfängen der Kirche, und bereits seit dem Hochmittelalter wurde die Predigt zu einem Phänomen der Massenkommunikation. Michael Mitterauer hat dies in seinem Buch Warum Europa als eine der mittelalterlichen Grundlagen für den Sonderweg Europas in der Neuzeit analysiert6. Seit dem Aufkommen der Predigerorden der Franziskaner und Dominikaner vergrößerten sich die Möglichkeiten, Predigten zu hören, für die Laien zumindest in den Städten erheblich. War die Predigt auch nicht in den Ablauf der Messfeier eingebunden, so nahm besonders im 15. Jahrhundert die Zahl der Predigtgottesdienste in großem Umfang zu, die in vielen Städten von eigens dafür berufenen Leutpriestern gehalten wurden und großen Zulauf fanden.

Hinzu kamen die großen Predigtkampagnen: Von seiner Erfindung durch Johannes Gutenberg an stand der Buchdruck mit beweglichen Lettern in engstem Verhältnis mit dem Phänomen der Predigt. Eines der Hauptprodukte der ersten Druckerpressen waren Ablasszettel für die Ablasspredigten, die zum Teil in unglaublich hohen Auflagen gedruckt wurden. Wer weiß, ob nicht Gutenbergs Erfindung in ihren Ansätzen stecken geblieben wäre, wenn sie nicht diese Brot-und-Butter-Aufträge zur Finanzierung des prestigereichen Bibeldrucks gehabt hätte? Aber auch bei dem eigentlichen Druck von Büchern stellte sich schnell eine enge Symbiose zwischen dem gepredigten und dem gedruckten Wort heraus: eine der erfolgreichsten vorreformatorischen Buchgattungen waren Predigtsammlungen, Postillen und Homilien. So etwa die Werke des Dominikaners Johannes Herold, dessen Sammlungen von über 200 Musterpredigten, darunter vornehmlich Fastenpredigten, aber auch andere Gelegenheitspredigten, in den fünf Jahrzehnten vor Luthers Auftreten allein 84 Ausgaben erreichten7.

Aus diesen wenigen Andeutungen dürfte bereits deutlich werden, dass weder die eingangs zitierte Aussage »keine Reformation ohne Buchdruck« noch die Entgegnung »keine Durchsetzung der Reformation ohne Predigt« eine entscheidende Antwort geben kann auf die Frage, warum sich die Reformation überhaupt durchsetzte: Denn die Medien der Verbreitung, Massenpredigt und Buchdruck, gab es schon vorher in voller Entfaltung. Aber die Medien allein erklären nicht die Verbreitung der Botschaft. Entscheidenden Erkenntniswert bieten beide Aussagen nur für die Frage, wie sich die Reformation durchsetzte8.

Jedenfalls geht der enge Zusammenhang von Predigt und Druck auch der im Jahr 2017 zur Genüge bedachten Geburtsstunde der Reformation voraus. Denn zur Vorgeschichte von Luthers 95 Thesen gehört unter anderem eine Ablasspredigtkampagne Johannes Tetzels, die dazu führte, dass Wittenberger Gemeindeglieder im nahen Jüterbog Ablasszettel erworben und bei ihrem Seelsorger Martin Luther vorwiesen9. Die Frage des Thesenanschlags braucht hier nicht diskutiert zu werden, aber auch dabei ging es um das Zusammenspiel von Buchdruck und mündlicher Kommunikation, eben einer Disputation10. Jedenfalls arbeitete Luther seine Thesen ungefähr Anfang März 1518 in einen kleinen Traktat um, den Sermon von Ablass und Gnade, der den Gehalt der lateinischen Disputationsvorlage in leicht fasslicher Form und mit dialogischen Elementen in die Volkssprache transponierte. Luther war sich schon bei seinem ersten volkssprachigen Druck, der große Verbreitung erlangte – allein 18 Auflagen in den ersten neun Monaten11 – der Wirksamkeit oraler Formen für die Vermittlung theologischer Inhalte wohl bewusst. Allerdings ist der Sermon, anders als man bei dem Titel denken mag, keine gedruckte Predigt12, und er basiert, soweit wir wissen, auch nicht auf einer, sondern ist ein Traktat mit rhetorischen Elementen, im Sinne der Bedeutung von »Unterredung, Gespräch«, die der lateinische Begriff sermo primär hat13. Damit verweist Luthers erster Bestseller auf die große Bedeutung, die das direkte Gespräch, die Mund-zu-Mund-Weitergabe, für die reformatorische Botschaft besonders in der Anfangszeit hatte. Durch das Verlesen solcher und zahlloser anderer reformatorischer Dialoge, Traktate und eben auch gedruckter Predigten verbreitete sich die neue Lehre in einer lokalen und regionalen Öffentlichkeit14.

Für diesen Rahmen lässt sich eine enge Verbindung zwischen lokaler Predigt und lokaler Aktion konstatieren: Viel direkter als durch gedruckte Schriften konnten durch Predigten auch Handlungen ausgelöst werden. Die reformatorische Predigt brachte immer die Gefahr von Unruhe, Protest, Erhebung und Aufruhr mit sich15. Deswegen stand die Predigt, nicht nur, aber besonders in Zeiten gesellschaftlicher Spannungen, unter intensiver Beobachtung der Obrigkeiten, die mit Kanzelverboten oder Pfarrerabsetzungen reagierten, wenn Predigten zu viel Konfliktpotential mit sich brachten. Denn für die Gottesdienstgemeinde galt in den vielfach segmentierten und stratifizierten Gesellschaften der Frühen Neuzeit, dass sie den vielleicht größtmöglichen Querschnitt durch alle Gesellschaftsschichten zusammenbrachte. Von der Kanzel geäußerte Kritik erging coram publico und erreichte zeitgleich Obrigkeiten wie Untertanen. Die Einführung der reformatorischen Predigt in einer Gemeinde hatte nicht nur wegen der besonderen Rolle der Wortverkündigung im protestantischen Verständnis eine so entscheidende Bedeutung, sondern auch, weil damit die dauerhafte Vermittlung der neuen Lehren weit über die lesefähigen Gruppen hinaus gewährleistet war.

An zahlreichen Beispielen lässt sich zudem auch verfolgen, dass in theologischen Kontroversen der Reformationszeit die Predigt eine bestimmte Eskalationsstufe der Öffentlichkeit darstellte: Ausgehend vom persönlichen Gespräch oder Briefwechsel, in dem ein Streitpunkt aufkam, bezogen Predigten eine weitere, städtische Öffentlichkeit ein. Standen sich Opponenten auf Kanzeln an verschiedenen Kirchen einer Stadt gegenüber, wie es etwa im Osiandrischen Streit in Königsberg der Fall war, konnte es zur Polarisierung von Gemeinden oder ganzen Stadtteilen kommen. In solchen Fällen versuchte die politische Obrigkeit fast immer einzugreifen und einen Kompromiss herzustellen oder auch Prediger abzusetzen. Die nächste Stufe der Öffentlichkeit und damit der Verschärfung des Konflikts war erreicht, wenn Predigten oder Streitschriften »im offentlichen truck« erschienen und damit den Konfliktfall von der ereignishaften lokalen Öffentlichkeit der Predigt auf die Stufe der dauerhaft und überregional rezipierbaren Bekanntheit hob16.

Hier deutet sich auch die grundlegende Paradoxie bei der Beschäftigung mit der mündlichen Verbreitung des reformatorischen Gedankenguts und mit der Predigt insgesamt an: Über das mündliche Ereignis der Predigt erfahren wir allein aus schriftlichen Quellen. Und in den allermeisten Fällen heißt das im Fall der Predigten: aus gedruckten Quellen. Zwar legten Prediger ihrer Kanzelrede häufig handschriftliche Notizen zugrunde. Doch diese haben sich aus der Reformationszeit nur selten erhalten. Zum Druck gelangten meistens entweder Mitschriften Dritter, mit aller Gefahr von Entstellung durch Missverständnisse oder Verkürzung, oder nachträgliche Ausarbeitungen, die womöglich den Charakter des Texts grundlegend veränderten. Auch die Prediger selbst waren sich dieser Gefahr deutlich bewusst. So bilanziert der englische Forscher Donald F. McKenzie noch für das 17. Jahrhundert: »Almost every printed sermon in the first half of the century has something to say by way of apology for the loss of the preachers presence«17. Eine gedruckte Predigt bietet immer nur eine papierene Abschattung des lebendigen mündlichen Worts sowie des Gesamtereignisses der Predigt als Performance und als Teil eines größeren liturgischen Zusammenhangs, wovon auch Luthers eingangs angeführtes Zitat zeugt. Andererseits lässt sich diese Spannung zwischen Predigtereignis und medialer Vermittlungsform prinzipiell nicht auflösen; selbst heutige audiovisuelle Aufzeichnungen wie Fernsehgottesdienste sind davon betroffen. Deshalb bleiben gedruckte Predigten – bei allen Problemen ihres Quellenwerts für das tatsächliche gesprochene Wort – die wichtigste Form, in der orale Kommunikation der Reformation auf uns gekommen ist. Denn immerhin lässt sich für viele gedruckte Predigten, im Unterschied zu weniger formalisierten oralen Formen wie die öffentliche Lesung einer Flugschrift, Bänkelgesang, private Lesezirkel, Hausandacht etc., die ursprüngliche Kommunikationssituation noch einigermaßen rekonstruieren. Predigt-Einzeldrucke weisen häufig die genaue Angabe von Predigtstätte, Zeit und auch Publikum auf: »vor volckreicher Versammlung gehalten«, »in Anwesenheit zahlreicher hoher Herren« oder ähnliches18. Die heutigen Methoden der Simulation erlauben sogar die optisch-akustische Fiktion einer historischen Predigtsituation: Die Webseite The virtual St. Paul’s Cathedral Project hat sich dies zum Ziel gesetzt: »[the project] will enable us to experience worship and preaching at St Paul’s Cathedral and in Paul’s Churchyard as events that unfold over time and on particular occasions in London in the early seventeenth century.« Sie simuliert für unterschiedliche Standorte und Zuhörerzahlen die akustischen Eindrücke einer Predigt John Donnes von 1622 – und macht deutlich, dass es eine echte Herausforderung für die Zuhörer darstellte, den Worten des Predigers zu folgen19.

Als Beispiel für die Notwendigkeit genauer Quellenkritik, die aus diesem Hiatus zwischen gesprochenem und gedrucktem Wort erwächst, kann wieder Luther dienen: Nicht weniger als 40 % aller unter seinem Namen bis 1522 erschienenen Drucke sind Predigten. In 187 Einzelausgaben und Sammlungen erschienen zwischen 70 und 100 verschiedene Predigten, auch in Übersetzungen in andere Sprachen. Doch nicht Luther selbst veranlasste diese Veröffentlichungen. Vielmehr wurden sie von heute unbekannten Bearbeitern mitgeschrieben, in Druckform gebracht und außerhalb von Wittenberg gedruckt, worüber Luther sich in den Vorreden eigener Drucke beklagte. Um diesen Raubdrucken das Wasser abzugraben, organisierten Anhänger Luthers eine Art stenographischen Dienst. Vor allem Georg Rörer, aber auch Veit Dietrich, Caspar Cruciger und andere schrieben von 1522 an praktisch jede von Luther gehaltene Predigt mit und bearbeiteten sie teilweise für den Druck. Auf diese Weise sind von den erschlossenen etwa 3000 Predigten, die Luther im Laufe seines Lebens hielt, rund 2000 erhalten geblieben20.

Schon aus der schieren Zahl – ähnliche Frequenzen lassen sich für Calvin und andere Reformatoren, aber auch für viele weitere Prediger in der Folgezeit errechnen – wird deutlich, wie sehr die Verkündigung des Evangeliums durch Predigt in der reformatorischen Bewegung im Mittelpunkt stand. Vielfach manifestierte sich der Beginn der Reformation in der Forderung nach einem Prediger, der das Wort lauter und rein verkündet.

Beispielhaft lässt sich hier die Entwicklung im anderen Zentrum der deutschsprachigen Reformation nennen: Der schon in Glarus durch seine Predigttätigkeit berühmt gewordene Ulrich Zwingli 21 initiierte als Zürcher Leutpriester die Umgestaltung des Kirchenwesens der Stadt durch seine Predigten, in denen er ab 1522 in zunehmender Schärfe und Eindeutigkeit kirchliche Missstände und die päpstliche Lehre kritisierte. In den neuen Predigtgottesdiensten, die er in klarer Abgrenzung von der Messe als reine Wortgottesdienst konzipierte, stand die Predigt im Mittelpunkt. Konsequent in seiner Ablehnung des Bestehenden brach Zwingli auch vollständig mit der altkirchlichen Perikopenordnung und begann, fortlaufend über den Text ganzer biblischer Bücher zu predigen. Eine Praxis, die sein Nachfolger Bullinger ebenso fortführte wie Johannes Calvin in Genf und die damit im Bereich der reformierten Tradition prägend wurde.

Zur Intensivierung und, heute würde man sagen Qualitätssicherung der Textauslegung führte Zwingli in Zürich die Prophezei ein, ein Gremium der Prediger und Lehrer der Gemeinde, in dem der Inhalt der Predigten besonders von neuen Predigern diskutiert und überprüft und so eine einheitliche Textauslegung sichergestellt wurde. Dazu wurden biblische Texte in den Originalsprachen gelesen und ausgelegt. Die kontinuierliche abschnittsweise Exegese biblischer Bücher führte im Übrigen nach einer These von Amy Burnett dazu, dass Predigtsammlungen im reformierten Kontext häufig nicht in Predigtform, sondern als Kommentare zu biblischen Büchern auf Latein veröffentlicht wurden22.

In Wittenberg behielt man hingegen für die Hauptgottesdienste die altkirchliche Perikopenordnung bei, während Luther bei Nachmittagspredigten und anderen Gelegenheiten auch davon abwich und Reihenpredigten über biblische Bücher – wie im Fall des eingangs zitierten Petrusbriefs – hielt oder anlassbezogene Textgrundlagen auswählte. Stand Luther der nachträglichen Publikation seiner Predigten aufgrund der genannten anfänglichen schlechten Erfahrungen kritisch gegenüber, verfasste er seit der Wartburgzeit deutschsprachige Musterpredigten: zuerst für die Texte der Advents- und Weihnachtszeit die sog. Wartburgpostille, die 1522 gedruckt wurde. Hinzu kam 1525 die Fastenpostille, die Predigten für die Sonntage der Fastenzeit enthielt23. 1526 und 1528 wurden diese mit der Veröffentlichung der Sommer- und Festpostille um die noch fehlenden Sonntage ab Ostern ergänzt, die aber nicht mehr von Luther selbst, sondern auf Grundlage seiner Predigten von Stephan Roth verfasst wurden24.

So wie man in Wittenberg an der tradierten Textauswahl der Sonntagsperikopen festhielt, so griff man mit den Postillen auch auf eine schon vielfach bewährte Veröffentlichungsform zurück, denn gedruckte Predigten und Homilien hatte es – wie bereits erwähnt – schon vor 1520 in großer Zahl gegeben. Hinter der gezielten Zusammenstellung von Musterpredigten Luthers stand eine Strategie: Während sich die Vereinheitlichung der Auslegung und die Unterstützung weniger begabter Prediger in Zürich im lokalen Rahmen durch die Prophezei erreichen ließ, machten die Anforderungen eines Territorialstaats wie Sachsen andere Mittel nötig. Durch die kontrollierte Publikation geeigneter Postillen Luthers sollten die Pfarrer auch in abgelegenen Landgemeinden gedruckte Grundlagen für die evangelische Verkündigung in die Hände bekommen25. Die vermittels der Druckerpresse mögliche überlokale Verbreitung und Standardisierung der Predigt wurde in den Dienst des systematischen Aufbaus eines evangelischen Kirchenwesens gestellt. Ergänzt um die gedruckten Katechismen, die frühen Gesangbücher und die Gottesdienstordnungen entstand binnen weniger Jahre eine im Druck vorliegende Grundordnung evangelischen Gemeindelebens. Der Besitz der Postillen wurde den sächsischen Pfarrern in den Kirchenordnungen26 vorgeschrieben. Wie Gerald Strauss am Beispiel des sächsischen Pfarrers Johann Langepeter gezeigt hat, wurde diese Regel durchaus eingehalten: Unter seinen 77 theologischen Werken befanden sich nicht weniger als 12 Postillen verschiedener Autoren, aus denen er seine Predigten vorbereitete27.

Diesem Phänomen im Bereich der Wittenberger Reformation korrespondiert ein Befund, den John Frymire für die katholische Kirche im Reich ins Bewusstsein gehoben hat: Entgegen der weitverbreiteten Annahme, dass katholische Autoren in der Reformationszeit Schwierigkeiten hatten, für ihre Werke Drucker und Abnehmer zu finden, brach die Produktion gerade von Postillendrucken auf altgläubiger Seite keineswegs ab28. Vielmehr erlebte auch der katholische Predigtdruck ab 1520 eine Blütezeit. Frymire hat für das gesamte 16. Jahrhundert eine Gesamtzahl von 500.000 Exemplaren errechnet; er schätzt, dass damit doppelt so viele Postillen im katholischen wie im protestantischen Bereich gedruckt wurden29.

Im 17. Jahrhundert setzte sich die Erfolgsgeschichte der Postillendrucke fort: Allein für den protestantischen Bereich sind über 700 Ausgaben gezählt worden30; von vielen wichtigen lutherischen Theologen (Mörlin, Matthesius, Chemnitz, Musaeus und viele andere) wurden Postillensammlungen veröffentlicht, häufig aus dem Nachlass. Das Genre und die dahinterstehende Bindung an die Perikopenordnung riefen auf reformierter Seite durchaus auch Kritik an der als »Postillenreiterei« bezeichneten Praxis der Prediger hervor, sich in ihren Predigten auf gedruckte Postillen zu stützen. So referiert der in Wittenberg geschulte Andreas Kesler in seiner Schrifftmäßigen Erörterung auf die gegenwärtige Zeit gerichteter Gewissensfragen (Wittenberg 1651) im Abschnitt »Caput XX. Was von Postillen und Postillanten zu halten« die Kritik von William Ames, der die Bindung an die Perikopenordnung ebenso kritisierte wie das Vorhandensein katholischer Postillen. Dem hielt Kesler deren Nützlichkeit entgegen:

Solche Postillen dienen ins gemein, 1. Den krancken und lagerhafften Leuten welche nicht in die Kirchen kommen können. 2. Gedruckten und bedrängten Christen, welche wegen verfolgung nicht in die Kirchen kommen dörffen. 3. Reisenden Personen, welche nicht zeit haben die Kirchen zu besuchen. 4. andächtigen Christen, welche sich vor dem Sontag pflegen zu praepariren und zu Hauß das Evangelium zu behertzigen. 5. Denen, die ihres beruffs und nothwendiger arbeit wegen nicht in die Kirchen kommen können. 6. Den tauben Menschen, welche in die Kirche zwar kommen, aber wegen Mangel des Gehörs den Prediger nicht vernehmen können. Diese können sich in den gedruckten Postillen erholen. Darnach insonderheit dienen die Postillen: 1. Der Jugend, damit dieselbe zu Hauß durch Lesung ihr die Sontäglichen Evangelia von jahren zu jahren desto besser bekant machet. 2. Den Studenten, damit sich dieselbe bey zeit an einem feinen deutschen stylum, und bequeme art die Texte abzuhandeln und zu predigen gewehnen. 3. Den jungen Predigern, damit sie gleichsam stumme Lehrmeister haben, welche ihnen ihre Predigten gründlich machen helffen. Den Kirchspilen insonders auff den Dörffern, damit besonders auff den Nothfall, da der Pfarrer kranck oder abwesend, von dem Küster die Gemeind gleichwol mit einer Predigt könne versehen werden.31

In Keslers Argumentation finden sich die standardisierende Funktion gedruckter Vorbildpredigten ebenso deutlich ausgesprochen wie ihre Bedeutung für die Sicherstellung der Predigt in einem Territorialstaat.

Wie aus den Beispielen Keslers weiterhin deutlich wird, wurden Postillen und Predigtdrucke nicht allein von Klerikern und Predigern für die Nutzung im Gottesdienst und zu Schulungszwecken angeschafft. Vielmehr etablierte sich ein breites Lesepublikum für Postillen und andere Arten von Predigtdrucken außerhalb wie auch innerhalb von Gottesdiensten. Eine herausgehobene Rolle spielten Predigten für die erbauliche Lektüre alleine oder in der Hausandacht. Hier wird in gewisser Weise auch der Weg zurück vom gedruckten zum gesprochenen Wort genommen, denn es ist davon auszugehen, dass die erbaulichen Texte und damit auch die Predigten laut gelesen bzw. vorgelesen wurden32. Diese verschiedenen Nutzungsszenarien erklären die enormen Auflagenzahlen, die bei einer Nutzung allein durch Prediger kaum erreicht worden wären.

Doch es blieb nicht allein bei diesen Postillenausgaben: Die Gattung der gedruckten Predigt differenzierte sich im Laufe des 16. Jahrhunderts. Über die frühreformatorischen Einzeldrucke und die an der Perikopenordnung orientierten Postillen, die homiletischen Lehrbücher und die reformierten biblischen Kommentare hinaus erschienen im Folgenden auch Tausende von Predigt-Einzeldrucken oder Sammlungen zu speziellen Themen: So die Katechismuspredigten, die aus dem meist nachmittags stattfindenden Unterricht der Jugendlichen erwuchsen, oder die Hochzeitspredigten, deren Sammlungen zu einer Art Eheanweisungen ausgebaut und häufig mit einer oeconomia christiana kombiniert wurden33. In nahezu unüberschaubarer Zahl erschienen zudem Kasualpredigten wie Tauf- und vor allem Leichenpredigten – ein Genre, dessen Erforschung trotz langjähriger Arbeit immer noch neue, reiche Erträge hervorbringt34. Der Stärkung der eigenen Identität dienten historische Predigtzyklen wie die Predigten über Luthers Leben35 oder die speziell an Sondergruppen adressierten Predigten wie die Sarepta, Predigten für Bergleute von Johannes Mathesius36. Auch die Auseinandersetzung mit konfessionellen oder anderen Gegnern aller Art schlugen sich in zahllosen gedruckten Predigten nieder: Zu nennen sind hier vor allem die Kontroverspredigten zwischen Katholiken und Protestanten, aber auch die Predigten in den innerprotestantischen Kontroversen, bis hin zu den Türken-37, Juden-38 und Hexenpredigten39. Schließlich sollen auch die Friedenspredigten nicht unerwähnt bleiben, die vor allem im 17. und 18. Jahrhundert aus Anlass von Friedensschlüssen gehalten wurden40. Die Gesamtzahlen dieser Einzelausgaben und Sammlungen lassen sich kaum erheben, doch ohne Übertreibung kann man sagen, dass gedruckte Predigten bis zum Ende der Frühen Neuzeit einen nennenswerten Anteil der gesamten Druckproduktion ausmachten. Im 17. Jahrhundert stammten noch ca. 40 % der gedruckten Bücher aus dem Bereich der Theologie41; Untersuchungen über den Buchbesitz in einer ländlichen Gemeinde haben noch für das frühe 18. Jahrhundert einen Anteil von über 90 % religiöser Literatur ausgewiesen42.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Aufbauend auf der Praxis des 15. Jahrhunderts gingen Predigt und Buchdruck im Zeitalter der Reformation eine überaus fruchtbare Symbiose ein. Die reformatorische Predigt erwies sich in der auf Kommunikation unter Anwesenden orientierten frühneuzeitlichen Gesellschaft als schlagkräftiges Mittel zur Verbreitung der neuen Lehre. Bei der Neugestaltung der evangelischen Kirchen kam der Predigt des Evangeliums als nota ecclesiae, Kennzeichen der wahren Kirche43, eine zentrale Rolle zu. Sie stand im Mittelpunkt der neudefinierten Gottesdienstformen und erreichte weiteste Kreise der Gesellschaft, vor allem auch die große Mehrheit der Lese­unkundigen. Die Bedeutung der Predigt für die Durchsetzung und Einführung der Reformation kann kaum überschätzt werden.

Zugleich kann die Frage, was und wie gepredigt wurde, nur in behutsamer Rekonstruktion beantwortet werden. Denn das orale Ereignis der reformatorischen Predigt ist uns heute nur in schriftlicher, und zwar weit überwiegend in gedruckter Form zugänglich. Wenn die Überlieferungslage eine genauere Beurteilung erlaubt, etwa bei Vorliegen von Manuskript und Druckfassung oder bei mehreren parallelen Mitschriften derselben Predigt, zeigt sich, wie groß der Unterschied zwischen einer gehaltenen und einer gedruckten Predigt ausfallen konnte.

Dem Buchdruck kam im Reformationsjahrhundert – für die reformatorische wie auch weiterhin für die altgläubige Predigt – die Rolle eines hochwirksamen Transmissionsriemens und zugleich eines Standardisierungsinstruments zu. Durch den Druck konnte die Begrenzung der Predigt auf die lokale und allenfalls regionale Sphäre überwunden werden; die Botschaften der Predigten ließen sich so mit geringem Aufwand über weite Entfernungen und an ein ungleich größeres Publikum distribuieren. Zugleich fungierten die schon seit Luthers Wartburgzeit entstehenden evangelischen Postillen als Musterpredigten, um die Qualität der Wortverkündigung flächendeckend zu gewährleisten und zu vereinheitlichen. Zu den die Texte der Perikopenordnung auslegenden Predigten traten im reformierten Bereich die Predigtserien über ganze biblische Bücher hinzu. Im katholischen Bereich wurde die schon im Spätmittelalter reiche Tradition von gedruckten Postillen weitergeführt und ausgebaut. Über die Postillen hinaus aber entfaltete sich, vor allem im Bereich der Wittenberger Tradition, im Laufe des 16. Jahrhunderts ein ganzer Kosmos gedruckter Predigten, die thematisch alle Bereiche des christlichen Lebens erfassten. In Ergänzung zur oralen Kultur der Gottesdienstpredigt entstand eine literale Kultur der gedruckten und gelesenen Predigt, die zu einem prägenden Element frühneuzeitlicher Frömmigkeit wurde. Die Predigt, so lässt sich pointieren, hat die Herausforderungen und vor allem die Chancen durch den Buchdruck im Zeitalter der Reformation eindeutig genutzt.

1 WA 12, S. 259,10–13.

2 Erstmals findet sich die Formulierung in Bernd Moeller, Stadt und Buch. Bemerkungen zur Struktur der reformatorischen Bewegung in Deutschland, in: Wolfgang J. Mommsen (Hg.), Stadtbürgertum und Adel in der Reformation. Studien zur Sozialgeschichte der Reformation in England und Deutschland, Stuttgart 1979, S. 25–39. Moellers Schüler Thomas Kaufmann hat dem Diktum Moellers jüngst einen Aufsatz gewidmet: Thomas Kaufmann, »Ohne Buchdruck keine Reformation«?, in: Stefan Oehmig (Hg.), Buchdruck und Buchkultur im Wittenberg der Reformationszeit, Leipzig 2015, S. 13–34.

3 Robert W. Scribner, Oral Culture and the Diffusion of Reformation Ideas, in: Ders., Popular Culture and Popular Movements in Reformation Germany, London 1987, S. 49–69, hier S. 50.

4 Vgl. Rudolf Schlögl, Kommunikation und Vergesellschaftung unter Anwesenden. Formen des Sozialen und ihre Transformation in der Frühen Neuzeit, in: GuG 2 (2008), S. 155–224; ders., Anwesende und Abwesende. Grundriss für eine Gesellschaftsgeschichte der Frühen Neuzeit, Konstanz 2014, bes. Kap. 3: Macht der Anwesenden. Reformation in der Stadt, S. 209–245.

5 Scribner, Oral Culture, S. 51.

6 Michael Mitterauer, Warum Europa? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs, München 2003, hier Kap. 7: Predigt und Buchdruck. Frühformen der Massenkommunikation, S. 235–273.

7 Andrew Pettegree, Reformation and the Culture of Persuasion, Cambridge 2007, S. 14f.

8 Ebd.

9 Vgl. die Darstellung bei Heinz Schilling, Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs, München 2012, S. 159–162, der allerdings betont, »dass nicht die Seelsorge, die Luder in diesen Jahren nur ausnahmsweise und selten wahrnahm, sondern seine theologischen Studien ihn zur Auseinandersetzung mit dem Ablass veranlassten«, ebd., S. 161.

10 Vgl. zum Druckkontext Falk Eisermann, Der Einblattdruck der 95 Thesen im Kontext der Mediennutzung seiner Zeit, in: Irene Dingel / Henning P. Jürgens (Hg.), Meilensteine der Reformation. Schlüsseldokumente der frühen Wirksamkeit Martin Luthers, Gütersloh 2014, S. 100–106.

11 Claudine Moulin, Ein Sermon von Ablass und Gnade (1518). Materialität: Dynamik und Transformation, in: Dingel / Jürgens (Hg.), Meilensteine der Reformation, S. 113–120, hier S. 113.

12 Entgegen der missverständlichen Aussagen bei Pettegree, Culture of Persuasion, S. 25.

13 Vgl. Karl Ernst Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, unveränderter Nachdruck der achten verbesserten und vermehrten Auflage Hannover 1913/1918, Darmstadt 1998, Sp. 2624, s.v. »sermo«; DWb, Bd. 16, Sp. 626, s.v. »sermon«.

14 Vgl. Mark U. Edwards, Printing, Propaganda, and Martin Luther, Berkeley 1994, S. 37–39.

15 Zu den Predigtstörungen in der Reformationszeit vgl. Stefan Michel, Gottesdienststörungen und Gehorsamsgebot, in diesem Band S. 315–330.

16 Vgl. hierzu beispielsweise Henning P. Jürgens, Die Beteiligung der beiden Preußen an den nachinterimistischen Streitigkeiten, in: ZGAE 55 (2011), S. 30–63, mit Beispielen aus Königsberg und Danzig, hier S. 44f., 55.

17 D. F. McKenzie, Speech – Manuscript – Print, in: Ders., Making Meaning. »Printers of the Mind« and Other Essays, hg. v. Peter D. McDonald / Michael F. Suarez, Amherst 2002, S. 237–258, hier S. 241. Ebd. das Zitat von John Ward 1645: »I know well that the same Sermon, as to the life of it, is scarcely the same in the hearing, and in the reading.« Ähnliche Bedenken wurden auch für Gerichtsreden formuliert.

18 Vgl. als ein Beispiel für zahlreiche weitere: Johann Caspar Zopff, Instrumentum Pacis Spirituale, Das ist Geistlich Friedens-Instrument Verfasset In den Worten des 85. Psalms v. 9. & 10. […] Wie dasselbige Den 31. Julii instehenden 1650. Jahrs bey dem gleich wie in andern Reußischen Kirchen also auch zu Gerau wohlangeordneten Fried und Freuden, Lob und Danck, Buß und Bet-Fest in dem Hause des HErrn bey Herrlicher hochansehnlicher und Volckreicher Versamblung öffentlich von der Cantzel abgelesen, erkläret Und darauff Zu immerwärenden Andencken der wunderlichen Güte und allmächtigen Hülffe GOttes zum Druck außgeantwortet, Gera 1650 (VD17 3:634083X) (urn:nbn:de:gbv:3:1-60709).

19 URL: <https://vpcp.chass.ncsu.edu/hear/> (11.01.2021).

20 Vgl. Hellmut Zschoch, Art. Predigten, in: Albrecht Beutel (Hg.), Luther Handbuch, Tübingen 22010, S. 315–321, hier S. 316.

21 Von Zwingli sind erst Predigten ab 1522 erhalten, so dass Aussagen über seine Tätigkeit in Einsiedeln und Glarus auf sekundäre Quellen angewiesen sind. Zur Predigt der Reformatoren vgl. die Übersicht bei Albrecht Beutel, Art. Predigt. VIII. Evangelische Predigt vom 16. bis 18. Jahrhundert, in: TRE 27, S. 296–311.

22 Vgl. zur hier nicht weiter erörterten Frage der Entstehung einer protestantischen Homiletik; Amy Burnett, How to Preach a Protestant Sermon. A Comparison of Lutheran and Reformed Homiletics, in: ThZ 63 (2007), S. 109–119, URL: <http://digitalcommons.unl.edu/historyfacpub/107> ( 11.01.2021), hier S. 118.

23 WA 10/I/1 komplett (Weihnachtspostille) und 10/I/2, S. 1–218 (Adventspostille); WA 17/2, S. 1–247 (Fastenpostille).

24 WA 10/I/2, S. 209–441 (Sommerpostille); WA 17/2, S. 249–516 (Festpostille); WA 21, S. 1–93 (2. Winterpostille).

25 Vgl. hierzu die Passage über die Predigt in Luther, Deutsche Messe und Ordnung Gottesdiensts (1526), in: WA 19, S. 95,4–19: »Darnach gehet die predigt vom Euangelio des Sontags odder fests. Und mich dunckt, wo man die deudsche postillen gar hette durchs jar, Es were das beste, das man verordente, die postillen des tages gantz odder eyn stucke aus dem buch dem volck fur zu lesen, nicht alleyne umb der prediger willen, die es nicht besser kunden, sondern auch umb der schwermer und secten willen zuverhüeten, wie man sihet und spuret an den Homilien ynn der metten, das etwa eben auch solche weyse gewesen ist. Sonst, wo nicht geystlicher verstand und der geyst selbst redet durch die prediger (wilchem ich nicht wil hiemit zil setzen; der geyst leret wol bas reden, denn alle postillen und Homilien), so kompts doch endlich dahyn, das eyn iglicher predigen wird was er wil, und an stat des Euangelii und seyner auslegunge widderumb von blaw endten gepredigt wird. Denn auch das der ursachen eyne ist, das wir die Episteln und Euangelia, wie sie ynn den postillen geordenet stehen, behalten, das der geystreichen prediger wenig sind, die eynen gantzen Euangelisten odder ander buch gewaltiglich und nutzlich handeln mugen.« Auch die Beibehaltung der Perikopenordnung diente also der Vereinheitlichung und Qualitätssicherung der reformatorischen Predigt.

26 So in der Kirchenordnung Kurfürst Augusts von 1580, Art. 43, in: EKO 1, S. 455. Schon in den Visitationsordnungen der späten 20er Jahre werden die Prediger angehalten, nach der Ordnung der Postillen Lutheri zu predigen; vgl. ebd., S. 510, 512, 531, 551, 559 u.ö. Die Postillen sollten für die Gemeinden angeschafft werden und dort verbleiben. In einer Anweisung an die Visitatoren im ernestinischen Sachsen legte Johann Friedrich der Mittlere ihnen auf, dass kein Pastor ordiniert werden solle, »er hette den zuvor uffs wenigste eine eigene deutsche biblien und postillen doctoris Marthini seliger, dann in mangel derselben zeugeten sie die hernacher selten und langksam«. Ebd., S. 61.

27 Selbst in den Fällen von Pastoren mit deutlich geringerem Buchbesitz waren darin meist Postillen vorhanden. Vgl. Gerald Strauss, The Mental World of a Saxon Pastor, in: Peter Newman Brooks (Hg.), Reformation Principle and Practice. Essays in Honor of A.G. Dickens, London 1980, S. 159–170.

28 Vgl. John M. Frymire, The Primacy of the Postils. Catholics, Protestants, and the Dissemination of Ideas in Early Modern Germany, Leiden u. a. 2010.

29 Ebd., S. 436.

30 Beutel, Art. Predigt, S. 300.

31 Andreas Kesler, Theologia casuum conscientiae hodierno cum primis tempori accommodatorum […], Wittenberg 1651 (VD17 1:075109A), URL: <http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB00028D1C00000000> (01.12.2019), S. 109f.

32 Vgl. Oliver Pfefferkorn, Übung der Gottseligkeit. Die Textsorten Predigt, Andacht und Gebet im deutschen Protestantismus des späten 16. und des 17. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. u. a. 2005, S. 150–152, hier S. 158. Einen schönen Beleg führt Pfefferkorn aus der Leichenpredigt von Johannes Olearius auf Landgräfin Christina Sophia von Hessen an. Olearius rühmt, dass »J. Fürstl. Gn. Zeit ihres Lebens / sich eines recht Christlichen und Gottseligen stillen und eingezogenen Wesens und Wandels beflissen / Gott und sein heilig seligmachendes Wort von Hertzen geliebt / dem Gehör desselben und den öffentlichen Predigten / wie auch den täglichen Betstunden / nicht allein selbsten fleissig beygewohnet / sondern auch ihr Hoffgesinde ernstlich / und unter nahmhaffter Bestraffung darzu anhalten lassen / auch des Sontags nach Mittag in ihrem Gemach / ihren Jungfrauen und Frauenziemmer / so alle zu gegen seyn müssen / jedesmahl eine Postille oder Erklärung der ordentlichen Sontags Evangelien / selbsten vorgelesen / und gleichsam ein HaußPredigt gehalten.«: Johannes Olearius, Iustus Ceu Palma Abbildung eines wahren Christen / Welcher als ein Geistlicher Palmbaum offt gedrückt / nie erstickt / wohl erquickt […], Halle 1659 (VD17 1:023892U), URL: <http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0000472E00000000> (07.06.2019), Bl. d 1v–d 2r.

33 Vgl. Erik Margraf, Die Hochzeitspredigt der Frühen Neuzeit, München u. a. 2007; Henning P. Jürgens, Die Hochzeitspredigten des Johannes Mathesius, in: Irene Dingel / Armin Kohnle (Hg.), Johannes Mathesius (1504–1565). Rezeption und Verbreitung der Wittenberger Reformation durch Predigt und Exegese, Leipzig 2017, S. 209–225.

34 Die Forschungsstelle für Personalschriften in Marburg, seit 1984 eine Arbeitsstelle der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, katalogisiert die Leichenpredigtenbestände von Hessen, Schlesien und Thüringen und veröffentlicht begleitend die Reihe Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften. Von 1991 bis 2010 erfasste eine Dresdener Arbeitsstelle die sächsischen Bestände. Der Gesamtkatalog GESA verzeichnet über 230.000 Einträge, URL: <http://www.personalschriften.de/datenbanken/gesa.html> (07.06.2019).

35 Vgl. Susan R. Boettcher, Martin Luthers Leben in Predigten. Cyriakus Spangenberg und Johannes Mathesius, in: Rosemarie Knape (Hg.), Martin Luther und der Bergbau im Mansfelder Land, Eisleben 2000, S. 163–187.

36 Hans-Otto Schneider, Sarepta. Die Bergpostille des Johannes Mathesius, in: Dingel / Kohnle (Hg.), Johannes Mathesius, S. 191–207.

37 Damaris Grimmsmann, Krieg mit dem Wort. Türkenpredigten des 16. Jahrhunderts im Alten Reich, Berlin [u. a.] 2016.

38 Paul Strauss, Preaching on an »Unholy Trinity«. Muslims, Jews, and Christian Identity in Early Modern Germany (2016), URL: <http://digitalcommons.unl.edu/dissertations/AAI10101140> ( 11.01.2021).

39 Vgl. etwa David Meder, Acht Hexenpredigten / Darinnen Von des Teuffels MordKindern / der Hexen / Unholden / Zauberischen / Drachenleuten / Milchdieben / etc. erschrecklichem Abfalle / Lastern und Ubelthaten / dadurch die Göttliche Maiestät gelestert / und Menschen und Viehe / [et]c. verderblicher Schaden zugefüget / Bericht / was vermöge heiliger Göttlicher Schrifft / menniglich davon halten / Auch von Beruffs wegen darbey thun solle, Leipzig 1605 (VD17 12:205316B).

40 Vgl. Henning P. Jürgens, Art. Friedenspredigten, in: Irene Dingel u. a. (Hg.), Handbuch Frieden im Europa der Frühen Neuzeit / Handbook of Peace in Early Modern Europe, Berlin u. a. 2020, S. 741–759.

41 Pfefferkorn, Übung der Gottseligkeit, S. 147f.

42 Hans Medick, Buchkultur auf dem Lande: Laichingen 1748–1820. Ein Beitrag zur Geschichte der protestantischen Volksfrömmigkeit in Altwürttemberg, in: Hans Erich Bödeker u. a. (Hg.), Le livre religieux et ses pratiques. Études sur l'histoire du livre religieux en Allemagne et en France à l'époque moderne (= Der Umgang mit dem religiösen Buch), Göttingen 1991, S. 156–179.

43 Vgl. Confessio Augustana, Art. VII, in: BSELK, S. 102f.